Malaysia/Hongkong
Asien '97: Malaysia, Singapur, Hongkong
19. bis 31. März 1997
Down Under '97: Sydney, Melbourne
22. April bis 5. Mai 1997


Der Reisebericht, Teil 1

Der folgende Reisebericht über die Malaysia-Tour dieses Frühjahr entstand kurz vor und schließlich auch während meines Australientrips, knappe drei Wochen, nachdem ich aus Malaysia zurückkam. Daher verstricken sich die Malaysia- und Australien-Erzählstränge auch relativ bald, nämlich ab dem Zeitpunkt, als ich im Flugzeug nach Sydney saß und dort genug Zeit hatte, weiterzuschreiben. So hoffe ich, diese Einleitung beugt eventueller Verwirrung vor (die Passagen, welche sich auf die australische Gegenwart beziehen, sind grün), und wünsche gute Unterhaltung mit den folgenden Zeilen...

Zwei Dinge gilt es noch zu bemerken: Leider endet dieser Bericht relativ abrupt, ihn mit den Erlebnissen in Hongkong und dem Rückflug zu beenden, blieb nicht mehr genug Zeit; Fotos aus Hongkong finden sich aber dennoch auf meinen Fotoseiten, genauso wie einige Aufnahmen von Sydney und Melbourne, die ich in diesen Bericht nicht auch noch hineingenommen habe, um die Verwirrung nicht zu komplettieren.


1 Mittendrin

Die Frage ist nur: wo anfangen zu erzählen? Vielleicht mit den spektakulärsten Erlebnissen? Oder besser chronologisch vorgehen? Okay, fangen wir halt einfach mal am Donnerstag an: Ziemlich erschöpft kamen wir also abends, es war schon dunkel, in KL an. Das erste, was einem auffällt, sind die breiten Highways (wohl wie in Amerika), die enorme Luftfeuchtigkeit kombiniert mit bestimmt immer noch 28 Grad Celsius auch abends, die vielen geschäftigen Menschen, und die alles überragenden Twin Towers, von denen ich schon geschrieben habe, oder? Auf der Fahrt ins Hotel begann es dann auch noch heftig zu regnen, was aber nur ein kleiner Vorgeschmack auf Samstag sein sollte. Das Hotel, es hieß Concorde, machte einen relativ kühlen und nüchternen Eindruck, Atmosphäre hatte es keine. Aber so erschöpft wie ich war, war ich nur froh, ein Bett und ein nicht ganz so heißes Zimmer zu haben – Man läßt ja sogar nachts gerne die Klimaanlage laufen. Die erste Nacht schlief ich trotz Jetlag von immerhin +06.00 Stunden, das heißt "mein" Donnerstag hatte nur 18 Stunden, wirklich gut und fest. So fest, daß ich am Freitag glatt das Frühstück verpennte, und mich um halb elf allein – mein Vater war längst in der Firma – in KL vorfand. Wenigstens konnte ich mich verständigen, denn in Malaysia spricht man außer Bashamalay auch Englisch, und zwar relativ gut; Malaysia wurde ja erst 1957 von England unabhängig. Die englische Vergangenheit merkt man beispielsweise am Linksverkehr, oder daran, daß man manche Restaurants mit Turnschuhen, Jeans oder gar kurzärmelig nicht betreten darf, hier sei schon einmal auf Dienstag und Mittwoch hingewiesen. Weiterhin ist erwähnenswert, daß Malaysia ein muslimisch geprägter Staat ist; Zeitungen und Fernsehsender führen eine strenge, aber freiwillige Selbstzensur durch. Man sieht auf den Straßen viele Frauen mit Kopftüchern, was ich in Asien eigentlich nicht erwartet hätte. Die Regierungsform ist eine konstitutionelle Monarchie, es gibt also einen König. Das Land unterteilt sich in 9 Sultanate und 4 anders regierte Teile. Die 9 Sultane wechseln sich alle fünf Jahre auf dem Thron ab, allerdings hat die wahre Macht der Ministerpräsident, der oft von der Freizügigkeit und Dekadenz des Westens spricht, und für sein Land das hochhalten der kulturellen, historischen und moralischen Werte beansprucht. Eine Woche nach meinem Besuch sollte Bundespräsident Herzog nach KL kommen - Schon bei meinem Abflug waren die Straßen deshalb mit malaiischen und deutschen Flaggen geschmückt: Flaggen auf den Straßen mögen die Malaien wohl wirklich gern. Auf allen größeren Straßen in der Stadt wehen solche malaiische Flaggen, zum Beispiel auch auf der Jalan Sultan Ismail, in der unser Hotel lag ("Jalan" heißt Straße). Die Flagge selbst verwechselt man gerne mit der der Vereinigten Staaten. Sie enthält nur anstelle der fünfzig Sterne einen gelben Halbmond neben einem ebenso gelben Stern. Die rot-weißen Streifen sind traditionell in südostasiatischen Staaten üblich (vgl. Indonesien, Thailand), während das Blau für die Einheit der einzelnen Bevölkerungsgruppen innerhalb Malaysias steht. Gelb ist die königliche Farbe; die Symbole - Stern und Halbmond – stehen für die vorherrschende Religion, den Islam. Es sind 14 Streifen auf der Flagge zu finden, obwohl wir nur 13 Landesteile zählen. Das rührt von der Sezession Singapurs 1965. Die Flagge blieb unverändert, und der vierzehnte Streifen symbolisiert halt jetzt die Staatsregierung.

Wo war ich? Ach ja, mitten in KL, ganz allein. Nun, das erste was ich tat, war, einige Buchläden aufzusuchen, deren es viele in den zahlreich vorhandenen Einkaufszentren gab, die in 10 Minuten Fußweg vom Hotel zu erreichen waren. Hier kann man wirklich günstig englische und amerikanische Bücher erstehen, ebenso wie in Malaysia, Hongkong, Singapur oder Australien (ist immer noch acht Flugstunden weg!) herausgegebene Bände. Nach zwei Stunden hatte ich bereits drei Mathebücher sowie einen dicken Schinken über Javascript erstanden, die ich mit Müh’ und Not nach Hause brachte (die ersten 2.5 kg Übergepäck, es sollte noch mehr folgen, viel mehr...). Auf dem Weg aß ich auf einem Markt mitten zwischen Hochhäusern und Banktürmen zu Mittag, wo offensichtlich auch viele gutgekleidete Geschäftsleute Mittagspause machten. Jeder hat hier sein Handy in der Hand, die Dinger piepsen unentwegt, die neuesten Modelle spielen Melodien als Zeichen, daß jemand anruft, und in der Tat, sie klingeln sehr oft. Vermutlich ist es einfach günstiger, sich so ein Handy zu beschaffen, als darauf zu warten, dass man Zuhause einen Telefonanschluß gelegt bekommt.

Für den Nachmittag hatte ich mir relativ bald vorgenommen, erst einmal eine Stadtführung mitzumachen. Denn alles, was ich bisher gesehen hatte, waren drei riesige Einkaufszentren – Lot 10, das Bukit Bitang Plaza sowie The Weld. Zum BB Plaza ist zu sagen: es stellt wirklich eine außergewöhnliche Kombination dar. Betritt man es, so findet man sich in einer großzügig gestalteten, modernen shopping mall im besten Sinne. Ob Esprit oder Benetton, Radio Shack, Marks and Spencers', alles ist hier vertreten. Kommt man aber weiter, tiefer hinein, so werden die Gänge immer enger, die stores immer kleiner, bis man sich zwischen nur noch garagengroßen Lädchen mit Stoffen, Kosmetika, und vielem vielem Kram befindet. Fast labyrinthmäßig ziehen sich diese Gänge immer tiefer. Man ist froh, wenn man sich schließlich im "westlicheren" Teil des Bukit Bitang wiederfindet, nicht ganz sicher, wie man wieder herausgefunden hat.

2 Von KL nach Südafrika...?

So wartete ich also circa zehn Minuten, bevor man mich in der Hotellobby auflesen wollte. Gar nicht so einfach, unter den vielen umherschwirrenden Menschen den "richtigen" herauszufinden. Alle Welt läuft hier höchst geschäftig, das Handy ständig am Ohr, durch die große, ein wenig kühl wirkende, allseitig mit Marmor ausstaffierte Halle. Zudem hatte ich das Problem, bis zu diesem Zeitpunkt noch keine einzige Postkarte erstanden zu haben - nicht einmal im Hotel gab es welche. Ob man diese Form der Urlaubskarten überhaupt kannte? Langsam fing ich an, daran ernsthaft zu zweifeln. Während ich noch im Reiseführer ein wenig über KL las, um herauszufinden, was mich innerhalb der nächsten vier Stunden so erwarten würde, klopfte mir schon jemand dezent auf die Schulter: "Are you Mr W...wagner?" Lustig, seinen eigenen Namen auf Englisch zu hören. überhaupt hatte ich mir das Buchstabierens meines Namens schon längst angewöhnt ("Dabbelju-ey-tschiee-enn-eih-ar"), da viele Menschen Probleme haben, "Wagner" korrekt niederzuschreiben. Aber schon folgte ich ihm – es war offensichtlich der Reiseführer - durch die kühle Halle hinaus in die Hitze, um sofort in einem klimatisierten Bus Platz zu nehmen; so klimatisiert, daß ich mir sofort einen Pullover überziehen mußte. Das Tour-Unternehmen hatte eine relativ geniale Methode, die einzelnen Touren zusammenzustellen: Mehrere Busse klappern jeweils drei bis vier Hotels ab, und bringen alle Teilnehmer zunächst zu einem sogenannten Handicraft-Centre. Wie vernünftig diese Methode bei dem herrschenden Verkehr ist, wurde mir auch sofort klar. Im Handicraft-Centre werden dann erst die einzelnen Touren zusammengestellt. Hier ist nun genau so viel Aufenthalt eingeplant, daß die Touris sich zunächst einmal mit verschiedensten Souvenirs, Mitbringseln und – wer glaubts? Es gibt sie! – Postkarten eindecken können. Allerdings war die Resonanz auf dieses Angebot doch eher mäßig. Kaum jemand nutzte die Angebote, von mir, Postkarten kaufend, mal abgesehen, da ich froh war, endlich welche gefunden zu haben und gleichzeitig nicht sicher, wann sich das nächste mal solch eine Gelegenheit ergeben würde. Überhaupt ist es groß in Mode, die Tourteilnehmer in verschiedenste sogenannte Showrooms zu lotsen, wo man die tollsten Dinge kaufen soll. Das tat allerdings auf den Touren, die ich unternahm, kaum jemand, außer vielleicht einige Amerikaner. Aber das ist schon wieder etwas vorgegriffen... Denn die Citytour, deren Bus ich nach etwa zwanzig Minuten Schlenderns durch das Centre betrat, bestand aus weniger als einem Dutzend Teilnehmern. Malaysia hat die angenehme Eigenschaft hat, kein Massentourismusland zu sein. Entsprechend angenehm war es auch, daß die Tour eben nur aus nicht mehr als zwölf Leuten bestand. Das erste Ziel war der Unabhängigkeitsplatz im Herzen KLs. Die Unabhängigkeit wurde 1957 zwar nicht hier in KL verkündet, sondern in Malacca, aber natürlich muß die Hauptstadt einen Unabhängigkeitsplatz besitzen! Der Ehre dieses Platzes angemessen ist hier Essen, Trinken, Rauchen, Walkman hören, und so weiter verboten worden. Auf der linken Seite des Platzes erstreckt sich das ehemalige Regierungsgebäude im englischen Tudorstil. Dessen Kulisse bildet eine Skyline von Hochhäusern - ein reizvoller Anblick. Vor allem die vielen orientalisch anmutenden Türmchen kontrastieren auf interessante Weise mit der modernen Architektur im Hintergrund. Auf dem Platz selbst befindet sich der höchste Fahnenmast der Welt, an dessen Spitze die 21 × 29 m große Fahne Malaysias im warmen Wind weht. Rechterhand steht das Clubgebäude des Royal Cricket Clubs, und jetzt ist auch klar, was der Platz vor 1957 war: Die Cricketwiese. Im Clubhouse traf sich bis dahin die die britische Führungsschicht. Nun, heute hat sich da eigentlich wenig geändert: Auch jetzt trifft sich hier die Oberschicht der Stadt, allerdings sind das heute ausschließlich Malaien. Unterhalb der Grünfläche plant man, was wohl, ein riesiges Einkaufs- und Entertainmentcenter, denn was auf dem Platz verboten ist, kann ja unten getrost erlaubt sein.

Die Citytour führt weiter an den großen Stadien der Stadt vorbei, wo soccer gespielt wird und schon große Künstler aufgetreten sind: Sting, Tina Turner, Elton John... – hierauf jedenfalls ist der tour guide, besonders stolz, er heißt übrigens Mohammed, was mich daran erinnert, daß wir hier in einem islamischen Land sind. Nächster Stop ist das war memorial, etwas außerhalb im Grünen gelegen. Allerdings kann man von hier aus immer noch das heutige Regierungsgebäude, welches am Rand des Unabhängigkeitsplatzes steht, erkennen: Ein modernes Hochhaus mit dreizehn Spitzen, die die dreizehn Regierungsbezirke des Landes symbolisieren sollen. Das war memorial selbst hat mich dann doch ein wenig stutzig gemacht. Als Gedenken an die beiden Weltkriege und die emergecies 1948-1960 erschien es mir doch reichlich brutal und aggressiv. Oder wie würden wir eine riesige Plastik, welche Soldaten mit MGs, auf den erschossen hingestreckten Feinden stehend, die nationale Flagge in Händen, beurteilen? Na ja, wie auch immer man dies Denkmal aufnimmt, so ist’s doch interessant, daß es von islamischer Architektur mit Türmchen und Zinnen gesäumt ist.

Weiter ging es dann richtig national mosque, einem Neubau, in dem bestimmt 5000 Gläubige Platz finden. Von einer Besichtigung allerdings sah die ganze Gruppe ab, denn mittlerweile hatte es ganz stark zu regnen angefangen. Wieviel Schaden dieser Regen anrichten kann, sollte ich noch früh genug mitbekommen. Momentan allerdings hinderte er mich nur daran, den Bus zu verlasen, und so fuhr man an Moschee und Bahnhof weiter, dem nächsten Ziel entgegen. Der Bahnhof besteht übrigens aus einem wunderschönen weißen, im Tudorstil erbauten Gebäude. Wüßte man nicht um seinen wahren Zweck, so käme er einem vor wie ein richtiges kleines Märchenschloß: Zinnen, Türme, ... wie viele der kolonialen Gebäude hier.

Einen ähnlich kurzen Aufenthalt gab&146;s dann aufgrund des Regens auch nur am Königspalast, den man nur von einiger Entfernung durch die Umzäunung erspähen kann. Kurzes Photo, schnell wieder in den Bus, und weiter ging es in Richtung Nationalmuseum. Hier war uns ein Aufenthalt von einer Stunde beschieden. Im Museum erfährt man viel über die Malaiische Kultur, Riten, Gebräuche, über das Schattenspiel, welches von der Türkei über Indien, China, Indonesien und Malaysia eine weite Verbreitung, jedoch viele signifikante Unterschiede aufweist. Weiterhin bietet das Museum eine Tierabteilung, sowie einige Ausstellungen von Waffen und chinesischem Porzellan, welches sich bis nach Malaysia verbreitet hat. In der Tat haben mich aber die verschiedenen Schattenspiel-Puppen am meisten fasziniert. Die bei uns Zuhause herumhängende konnte ich schnell als indonesische identifizieren, denn wie ich bereits bemerkte, sind die Unterschiede des Spiels in den einzelnen Kulturen doch sehr ausgeprägt. Bald war die Zeit im Museum um, und man wartete am Museumsausgang - inzwischen regnete es Katzen und Hunde! - auf den Bus, der nicht kam und nicht kam... Nun ja, freilich kam er zu guter Letzt doch noch, und ich freute mich schon darauf, in zwanzig Minuten wieder Zuhause zu sein. Denkste! Ich hatte den Berufsverkehr total unterschätzt, und so kam es, daß wir vom Museum bis zum Hotel im Kriechgang vorwärtskommen mußten, und gut anderthalb Stunden benötigten für eine Strecke, welche normalerweise in zwanzig Minuten zurückzulegen wäre. Die Tourgäste wurden von zwei Indern, die auch dabei waren, mit Studentenfutter versorgt, und der tour guide zog seine Zeitung heraus, erzählte von dem “crazy guy who tried to climb up twin towers and was caught by police on the 62nd store” und las den entsprechenden Artikel laut vor.

Um halb sieben endlich etwas durchnäßt im Hotel angelangt, legte ich mich erst einmal quer aufs Bett, um die Eindrücke sich setzen zu lassen und etwas auszuruhen. Keinen großen Hunger verspürend, gingen wir abends ins Hilton, um dort noch etwas zu trinken. Im Gegensatz zum Concorde war das wenigstens ein Hotel mit Stil! Ich war richtig traurig, daß wir nicht dort gebucht hatten, da es mir um einiges besser gefiel als in unserem Haus.

Während wir am Pool saßen und die kühlen Getränke genossen, führte eine Tanztruppe direct from South Africa entsprechende Tänze auf. Schon komisch, in einer so ganz anderen Ecke der Welt ausgerechnet auf südafrikanische Musik zu treffen, dachte ich mir (wir lebten vor einigen Jahren ein Vierteljahr dort, und so fiel schon auf, daß die Truppe vielleicht doch gar nicht so direkt aus Südafrika kam, aber sie machten ihre Sache schon ganz gut...). Am nächsten Tag sollte es weiter nach Malacca gehen. Man konnte nur hoffen, daß die zweistündige Fahrt dorthin ohne Stau und klimatisiert möglich sein würde. Beruhigt konnte ich also schlafen gehen. Wenn ich geahnt hätte, welche Überraschungen der nächste Tag bieten würde, hätte ich vielleicht nicht so ruhig geschlafen...

3 Malacca und der Regen

Samstag morgen, 09.15. Vor der Abfahrt nach Malacca ein kurzes Frühstück zu sich zu nehmen, fällt gar nicht so leicht, denn schließlich ist es dafür eigentlich schon zu spät - bei der zweistündigen Fahrt sollte man sehen, wenigstens gegen elf Uhr dort zu sein. Immerhin sind es "nur" zwei Stunden, da wir die gut ausgebaute Autobahn nehmen. Diese zumeist vier- oder sechsspurigen Straßen, welche sich in Nord-Süd-Richtung durch Malaysia ziehen, werden von privaten Unternehmen betrieben und sind daher mautpflichtig, ganz wie in Frankreich. Allerdings gibt’s hier keine trotzdem guten routes nationales, so daß man wohl oder übel den Wegezoll entrichten muß. Allerdings sind so etwa 4 Ringgit ein wirklich erträglicher Betrag. Nach anderthalb Stunden Autobahn geht's dann weiter zunächst über breite, dann schmale Teerstraßen, bis man über eine wiederum breite Piste Malacca erreicht. Das soll kein falsches Bild vermitteln: Malacca liegt also nicht irgendwo in der Wildnis; vielmehr ist es eine schön am Meer gelegene alte Stadt, von welcher es sich, so man nach Indonesien schwimmen will, anbietet zu starten: Hier ist die Straße von Malacca am engsten.

Die Stadteinfahrt wird gesäumt von großen chinesischen und auch einem malayischen Friedhof. Zunächst fahren wir am größten chinesischen Friedhof außerhalb Chinas vorbei. Die Grabmäler bestehen aus elliptischen Steinformationen, die am ehesten mit der Form eines griechischen Omegas verglichen werden können. Sie sind vom Ausmaß und ihrer Anlage noch am ehesten mit den hier in Europa üblichen Grabmälern vergleichbar, wenn man sie sich ohne Grabstein vorstellt. Einige hundert Meter weiter geht's dann an einem malayischen Friedhof vorbei: Die malaiischen Grabsteine eher wie Urnen an. Das sehr hügelige Gelände des Friedhofs sieht aus, als würden viele kleine Zwerge oder Lemuren darauf stehen - diese urnenförmigen Grabsteine eben. Allerdings werden die Leichen nicht verbrannt! Während die Männer hier in etwa fünf Fuß Tiefe vergraben werden, liegen die Frauen in ungefähr Fuß Tiefe. Der Glaube besagt, daß Frauen während ihrem Leben halt mehr Schuld auf sich laden, weswegen sie auch tiefer vergraben werden. Jedenfalls wäre es sicherlich interessant, ob andere islamische Friedhöfe ähnlich aussehen wie dieser malaiische hier in Malacca. Im Zentrum Malaccas fällt einem sofort die holländische Architektur mit einem red square auf, wo sich ausschließlich rote, holländische Häuser befinden. Hier landeten einst die Holländer, was roter Platz, Stadthuis und eine kleine Windmühle heute noch bezeugen. Neben einer Kirche findet sich auf dem Platz allerdings auch der Victoria Fountain, welcher wiederum auf englische Besiedlung hindeutet. Von hier aus bietet sich ein Spaziergang die street of harmony hinunter an. Diesen Namen besitzt die Straße, weil sie Tempel und Kirchen vieler Religionen direkt nebeneinander beheimatet: Buddhisten, Hinduisten, islamische und christliche Gläubige beten und leben hier friedlich nebeneinander. Außerdem gibt es zahlreiche alte Gebäude mit vor allem chinesischen Geschäften. Der prächtige chinesische dort Tempel lädt zur Besichtigung ein: Ein großes Gebäude, zentral im Tempelgelände gelegen, mit prächtigem Pagodendach beherbergt die Altäre, an denen die Gläubigen beten. Beim Betreten nötigt eine hohe Stufe sowohl Gläubige als auch Nichtgläubige, sich vor den Altären zu verneigen; eine geschickt erdachte Einrichtung. Drinnen wird mit Räucherstäbchen und einer Art Losstäbchen das eigene Schicksal beschworen: Man schüttelt so lange eine Box mit vielen dieser Stäbchen, bis eines herausfällt. Auf diesem steht dann das Schicksal geschrieben - So in etwa, ganz habe ich jedenfalls nicht kapiert, wie es funktioniert. Was ist zum Beispiel, wenn man so heftig rüttelt, daß gleich mehrere Stäbe herauspurzeln? Aber dafür gibt es sicherlich Regeln... Hinter dem Hauptgebäude stehen in großen "Auslagen" viele Minigrabsteine in Rot und Gold. Die Verwandten der Verstorbenen bringen hier vor allem am Wochenende die Lieblingsspeisen und -nahrungsmittel der von ihnen gegangenen hin, lassen sie dann oftmals sechs oder mehr Stunden stehen, holen sie danach allerdings zum Verzehr wieder ab. So kann man hier von verschiedenen Gemüsen bis zu ganzen Gänsen und Enten alle möglichen Speisen bewundern. Weiter führt die street of harmony an unzähligen Geschäften vorbei, welche absolute Luxusgüter feilbieten: Autos, Schecks, Kreditkarten; Häuser aller Größe; Vom Kühlschrank bis zum Herd alle Kücheneinrichtungen; Schuhe, Rasierer, Badewanne, Stereoanlage; Geldscheine, Goldbarren... kurzerhand: alles, einfach alles was einem im Leben so gefallen könnte. Und alles nicht einmal besonders teuer, denn all diese Gegenstände sind aus Pappkarton! Man fragt sich schon, welche Bedeutung das hat. Aber die Antwort ist mehr als einfach: Wenn ein Chinese stirbt, so möchten seine Verwandten ihm allen Luxus nach dem Tode gönnen, den er im Leben hatte, oder sich immer wünschte. Also geht man einfach her, und kauft ihm hier die Dinge, die er gerne hat. Diese werden dann zusammen mit der Leiche eingeäschert. Besonders lustig sind die Banknoten, welche die Hell Bank herausgibt, oder Flugtickets to hell; Auch Firmenanteile aller in hell angesiedelten Betriebe sind selbstverständlich erhältlich...

Nach einem ausgiebigen chinesischen Mittagessen, bei dem ich mich von der Handhabbarkeit der Eßstäbchen überzeugen konnte (Besteck gab es nämlich keines), ging es zunächst weiter zum portugiesischen Teil Malaccas. Hier gibt's noch portugiesische Restaurants, und eine Bevölkerungsgruppe, die einzigartig auf der Welt ist, ihre eigene Sprache spricht und von den Portugiesen, die damals hier gelandet sind, abstammt. Die Häuser sind direkt am Strand gelegen, und die bunten Fischerboote wirken sehr idyllisch. Nach diesem kurzen Abstecher geht es noch weiter an die Stelle, an der 1957 die Unabhängigkeit erklärt wurde. Neben einen großen Paradeplatz steht auf einer Anhöhe die Ruine der St. Paul’s Kirche, die als Überrest die ehemals portugiesische Vorherrschaft hier dokumentiert. Den Hügel gerade erklommen, klingen einem heimische Melodien entgegen: Hier spielt ein einheimischer Gitarrist dezent lemon tree in dem großen Kirchenschiff, dessen Dach eingestürzt ist, und durch eines dessen Fenster man unten an der Küste die Replik eines portugiesischen Schiffes erblickt. Am Fuße des St. Paulshügels, neben dem Unabhängigkeitsplatz, befindet sich ein kleines Museum, das die lange Geschichte der emergencies und der Unabhängigkeit dokumentiert. Wie in allen geschichtsträchtigen Gebäuden in Malaysia muß man auch hier, um Respekt zu zollen, die Schuhe ausziehen, will man das Museum betreten. Nach einer kurzen Besichtigung war die Zeit in Malacca auch schon aufgebraucht, denn immerhin lagen ja noch zwei Stunden Rückfahrt vor uns - ohne Staus! Nun, man muß sagen, daß diese Rückfahrt auch ohne größere Komplikationen ablief, mal vom nachmittäglichen Regen abgesehen. Dieser allerdings war teilweise so stark, daß man kaum fünfzig Meter vorwärts sah, und die übrigen Autos sogar die Warnblinkanlagen anschalteten, um in dem Regen auf sich aufmerksam zu machen. Trotzdem war es möglich, um etwa sechs Uhr abends wieder heil im Hotel anzukommen. Der Regen indes hatte nicht aufgehört, und es wurde immer schlimmer. Während ich einige Postkarten schrieb, schaute ich immer mal wieder zum Fenster hinaus: Nach der dritten Karte jedoch war praktisch nichts mehr zu sehen, draußen fand ich eine wahre Regenwand vor, die mir jegliche Aussicht verwehrte. Es war einfach grau. Der Regen war so dicht geworden, daß man nichts mehr sehen konnte. Dieser Zustand dauerte etwa zwanzig Minuten an. Als erstes Durchblicken des grauen Schleiers wieder möglich war, schien draußen alles "normal" zu sein. Aber dann zuckte ich doch ganz gewaltig zusammen. Unten auf der Straße konnte man zwar noch Autos erkennen, welche aber bis zu den Scheinwerfern unter Wasser standen. So etwas hatte ich noch nie gesehen! Schnell befestigte ich den Telekonverter auf der Kamera, um mir diesen Anblick ein wenig näher ans Auge zu holen – immerhin war ich hier ja im neunten Stock. Und in der Tat, man konnte beobachten, wie das Auto förmlich im Wasser versank. Auf gut Glück machte ich von dieser obskuren Szene noch ein Foto. Glück deshalb, weil es schon langsam dunkel wurde und das Licht draußen schon recht schummrig war.

Dann ging zu allem Überfluß auch noch das Licht im Hotel aus. Somit erleuchtete nur noch eine spärliche Notbeleuchtung das Zimmer. Vielleicht wäre es besser, nun doch in die Hotelhalle hinunterzugehen? Gesagt, getan, und schon gings – die Kamera dabei – die neun Stockwerke hinunter. Unten herrschte reges Treiben! Die Menschen liefen aufgeregt in der kaum noch erleuchteten Halle umher, wie immer fleißig telefonierend. Sollte das ein Anzeichen dafür sein, daß die Lage doch nicht so ernst war?! Nachfragen an der Rezeption - die Hotelangestellten waren schon ganz schön genervt - brachten dann die Lage zu Tage: Der Keller sei überflutet; dort befänden sich auch Stromversorgung und Notstromaggregat, welches nicht mehr funktionierte; man wisse nicht, wie lange die Situation so andauern würde, und so weiter. Und in der Tat, der Treppenaufgang abwärts Richtung Keller und Tiefgarage war bis circa einen Meter unterhalb der Lobbyebene durch eine schlammige, dreckige Brühe überschwemmt. Die Hotelgäste schauten interessiert daran, wie sich der Pegel wohl verändere (und er stieg!) hinunter. Einer der Umherstehenden erläuterte, daß sein Wagen da unten nun wohl ein Versicherungsfall wäre. Nach einer halben Stunde in der Bar, die zwar nichts mehr ausschenken konnte, dafür wurde aber fleißig Knabberzeug verteilt, entschloß ich mich, einfach im dunklen Hotelrestaurant essen zu gehen. Hier gab's ein reichliches mit Kerzenlicht beschienenes Buffet, und die vielen nunmehr durch den Stromausfall arbeitslos gewordenen Köche erläuterten den Gästen detailliert die verschiedenen Gerichte. Es waren etwa halb soviel Gäste wie Köche am Buffet zugange... Während des Speisens kam dann noch mein Vater hinzu, der für seinen Heimweg aus dem Büro statt zehn Minuten drei Stunden brauchte (Taxis sind während des Regens Mangelware und die Fahrtpreise richten sich nach der Nachfrage!), mit der Mitteilung, daß Essen und Trinken heute abend umsonst wären, genau wie die Übernachtung. Also nochmal eine Runde ums Buffet. In der fast völligen Dunkelheit war das Speisen schon ein Erlebnis: Man bekam auch mit, wie die Feuerwehr anrückte, um Anstalten zu unternehmen, den Keller auszupumpen. Da das Hotel allerdings eher "unten" an der Jalan Sultan Ismail lag, floß natürlich ständig Wasser nach, und draußen regnete es nach wie vor so stark, daß man binnen weniger Sekunden pitschnaß geworden wäre. Auf der Straße herrschte Dauerstau, und man konnte nur neidisch auf die umliegenden Gebäude blicken, die offensichtlich befriedigend mit Strom versorgt wurden. Kein Strom heißt ja auch keine Klimaanlage, das sollten wir nicht vergessen, und so erzeugte das seelenruhige Essen, die vielen aufgeregten Gäste und Angestellten in der Halle, das Piepsen der Handies, die schwüle Atmosphäre, das Geschehen draußen auf der Straße, all das eine ganz einzigartige Atmospähre, und man konnte nur gespannt sein, wie die Lage sich weiter entwickeln würde. Ich konnte mich gar nicht entschließen, nun einfach hinaufzugehen und zu schlafen, es war alles viel zu aufregend. Und außerdem lagen ja noch neun Stockwerke vor mir und meinem vollen Magen!

Um elf, halb zwölf, nach noch einigen Drinks aufs Haus machte ich mich dann doch auf den Weg nach oben. Hausangestellte verteilten Mineralwasser und Kerzen. Wenn da mal nur nichts geschieht, dachte ich mir. Ein riesiges Hotel, an dessen Gäste man Kerzen verteilt... Konnte man da die Brandgefahr nicht schon riechen? Mit einem wahrlich unguten Gefühl ging ich schlafen; die Hitze im Zimmer hatte bereits merklich zugenommen dank der ausgefallenen Klimaanlage. Kerze hatte ich keine mitgenommen, denn das Licht, welches von den umherstehenden Hochhäusern durchs Fenster fiel, reichte einigermaßen aus. Der morgige Tag sollte chaotisch werden, soviel war klar.


Hier geht's weiter zum zweiten Teil

Robert Wagner, 20. August 1997
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